Drama in acht Akten: SVA 1 verliert unglücklich 3,5:4,5

BAD AROLSEN. Welch eine Achterbahnfahrt zum Saisonauftakt: Mit viel Pech verliert der SV Anderssen Bad Arolsen ein Auftaktmatch voller Dramen denkbar knapp mit 3,5:4,5. Nur Schachgöttin Caissa vermag wohl letztlich zu erklären, warum die Gäste aus Bad Hersfeld als Sieger nach Hause fuhren. Denn lange Zeit schien es, als hätten die Residenzstädter alle Trümpfe auf ihrer Seite.

Schon vor Spielbeginn war klar: Die stark ersatzgeschwächten Hersfelder könnten sich gut als erster Aufbaugegner machen. „Ein Punkt sollte mindestens drin sein“, so der Tenor auf Arolser Seite. Das der Wettkampf ruhig startete beunruhigte noch niemanden. Sowohl Martin Malinowski als auch Hermann Henze sahen nach zweieinhalb Stunden kein Durchkommen mehr und segelten jeweils friedlich in den Remishafen. Es sollte die Ruhe vor dem Sturm sein.

Denn innerhalb der nächsten Stunden brannte es an allen Brettern. Für den ersten Paukenschlag sorgte ausgerechnet Routinier Rudolf Beisinghoff. Mit zwei Minusbauern aus der Eröffnung kommend, sah alles nach einer schnellen Niederlage aus. Doch weit gefehlt. Beisinghoff kämpfte sich zurück ins Spiel, eroberte erst einen Bauern und gewann wie aus dem Nichts auch noch die Qualität. Als anschließend sein h-Bauer unaufhaltsam zur Dame lief, blieb seinem völlig konsternierten Gegner nur die Aufgabe – 2:1.

Die Arolser Freude währte nicht lange. Denn Emil Ackermann opferte sehr ambitioniert zwei Bauern für mehr Angriff. Das Dumme nur: Den Angriff hatte sein Gegner. Und der war nicht aufzuhalten – 2:2. Für erneuten Arolser Jubel sorgte einmal mehr Ersatzspieler Constantin Vogel mit einer Klassepartie. In einem Kopf-an-Kopf-Rennen der Freibauern, hatte Vogel einen Zug weiter gerechnet, die Damenumwandlung war unvermeidlich – 3:2 für Arolsen.

Drei Bretter liefen noch und die sahen insgesamt ganz gut für Arolsen aus. Jürgen Wolf hatte nicht nur zwei Bauern erobert, sondern seinen Gegner auch noch derart eingeschnürt, dass der Sieg eigentlich nur noch eine Frage der Zeit schien. Eigentlich. Was nach vier Stunden Spielzeit dann passierte, wusste Wolf auch nach der Partie nicht in Worte zu fassen. „Ein Blackout“ nannte es Mannschaftsführer Hermann Henze. Mit nur wenigen Zügen verwandelte.Wolf wie von Zauberhand seine Gewinnstellung in eine Verluststellung. Von unaufhörlichem Kopfschütteln begleitet blieb folglich nur die Aufgabe – 3:3.

Von den dramatischen Ereignissen völlig unbeeindruckt, schwebte Thomas Bölke am Spitzenbrett schon früh in seiner Zeitnotsphäre. Doch auch das kümmerte ihn nicht weiter. Und auch nicht, dass seine Stellung hoffnungslos passiv schien. Seelenruhig manövrierte Bölke durch alle Untiefen und hielt das Remis – und damit die Arolser Hoffnungen – eisern fest. 3,5:3,5. Nur noch eine Partie lief. Und die hatte es in sich.

Gerd Brückmann hatte in für ihn typischer Manier positionell alles im Griff. Ein leichter Vorteil, aber vermutlich nicht gewinnbringend, so das Urteil der Kiebitze. Dann opferte Brückmann einen Bauern. „Wir gewinnen den Wettkampf“ rief Malinowski seinen Mannschaftskollegen im Ruheraum zu. Ungläubige Hoffnung machte sich breit. Alles rannte zum Spielsaal. Ein kurzer Blick. „Ja, das sieht gut aus“ bekräftigte Henze den ersten Eindruck. Alle rannten wieder runter in den Ruheraum. Sofort wurde die Partiestellung aufgebaut. „Das gewinnt doch nicht“ warf Bölke ein. Schnell kam man zu dem Ergebnis: Jörk Günther kann den verlorenen Springer dank eines Zwischenschachs zurückgewinnen. „Dann bekommt Gerd zwar einen unaufhaltsamen Freibauern, aber Günther hat Dauerschach“ orakelte Henze. Und tatsächlich. Aus dem Dauerschach gab es kein Entkommen. „Also doch Remis“ schloss wiederum Malinowski die Analyse. Ein gerechtes 4.:4 also. Alle rannten wieder nach oben in den Spielsaal. Und erstarrten. Brückmann hatte nicht wie gedacht den Springer geschlagen. Nein, er hatte die Damen getauscht. „Geht das überhaupt?“ geisterte es gleichzeitig durch die Köpfe der Arolser. Völlig ungläubig rannte das Trio wieder nach unten – analysieren. Zwei Minuten später war klar: Brückmann steht auf Verlust. Durch den Damentausch kann Günther seine Freibauern in Bewegung setzen. Und die sind nicht aufzuhalten. Stöhnen. Kopfschütteln. „Das kann doch nicht wahr sein“ murmelte Henze auf dem Weg zum Spielsaal vor sich hin. Gebannt blickten alle Arolser minutenlang auf das Brett, musterten Gerd Brückmann, der scheinbar stoisch am Brett saß. Hatte er mehr gesehen? Als Brückmann plötzlich in tiefes Grübeln verfiel, wurde es immer mehr zur Gewissheit: Er hatte etwas übersehen. Schlimmer noch: Sein Gegner knallte die Züge a tempo aufs Brett. Denn seine Freibauern waren tatsächlich nicht aufzuhalten und liefen und liefen und liefen. Mitten hinein ins Arolser Unglück. Nach fast sechs Stunden bleib auch Gerd Brückmann nichts mehr. Er reichte die Hand zur Aufgabe. Er hatte alles riskiert und – dieses Mal – alles verloren. Einziger Trost: Die Saison ist noch jung, nichts unmöglich. Und selbst die launische Schachgöttin Caissa wird den Arolsern dereinst wieder gewogen sein. Irgendwann. Irgendwo.

Anderssen Arolsen 1 Turm Bad Hersfeld 1 3,5:4,5
Boelke, Thomas Schmidt, Markus ½:½
Henze, Hermann-Josef Willich, Manfred ½:½
Brückmann, Gerd Günther, Jörk 0:1
Wolf, Jürgen Marth, Jürgen 0:1
Ackermann, Emil Krauße, Eckhard 0:1
Malinowski, Martin Lieder, Günter ½:½
Beisinghoff, Rudolf Kapustjan, Denis 1:0
Vogel, Constantin Heisterhagen, Tilman 1:0
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